Die Epigenetik und der genetische Determinismus

DNS-StrangÜber Jahrzehnte hinweg war der genetische Determinismus verbreitet, das heisst, dass wir unserem genetischen Code ausgeliefert und somit Opfer unseres Erbguts sind. Doch heute wissen wir dank der Epigenetik, dass wir unsere DNS verändern können und dies sogar innert kürzester Zeit!

Die Wissenschaftler glaubten noch bis vor ein paar Jahren, dass die Gene fix seien und kaum auf äussere Reize reagieren. Mit der Zeit fanden sie heraus, dass epigenetische Prozesse die Gene aktivieren oder deaktivieren. Durch die DNS-Methylierung (chemische Verbindungen) werden Gene abgeschaltet, ohne dass am Gen selber etwas verändert wird. Wiederum können bestimmte Eiweissstoffe diese Methylgruppen ablösen, sodass das Gen wieder angeschaltet wird.

Die epigenetischen Veränderungen geschehen bereits früh…

In der Embryonalphase wird die Entwicklung von den Genen bestimmt, diese ist abgeschlossen, sobald der Embryo seine menschliche Form erreicht hat. Danach kommt das fötale Stadium. Von nun an werden alle Änderungen durch das Umfeld beeinflusst, also epigenetisch kontrolliert. Bsp.: Ist das Leben an dem Ort, wo das Kind zur Welt kommt, von einem Kampf ums Überleben geprägt, wird dieses eher mit dem dazu gehörenden Körperbau und den entsprechenden Muskeln auf die Welt kommen. Wo Intelligenz eine grössere Rolle spielt, wird das Kind mit einem grösseren Gehirn auf die Welt kommen.  Entsprechend lassen sich auch die raschen Anpassungen der Tier- oder Pflanzenwelt an die Umwelt erklären.

Auch durch die Nahrungsaufnahme im Mutterleib werden die Gene geprägt. Der Biologe Randy Jirtle vom Duke University Medical Center in North Carolina mischte unter das Futter von einigen schwangeren Mäusen, die eine Veranlagung zu Übergewicht, Diabetes und Krebs hatten, Stoffe wie Vitamin B12 oder Folsäure. Diese Mäusebabys kamen schlank und gesund auf die Welt, die anderen Mäusebabys, deren Mütter keinerlei Zusatzstoffe erhielten, waren dick und kränklich.

Fürsorglichkeit und Stressresistenz

Michael Meaney, Neurobiologe und Professor an der McGill University in Kanada, fand bei Laborrattenexperimenten heraus, dass die Jungen, welche von ihren Müttern liebevoll umhegt wurden, später gelassen waren und selber liebevolle Eltern wurden. Rattenbabys, welche von ihren Müttern vernachlässigt wurden, waren später gestresst und wurden selber kaltherzige Eltern.

Die Untersuchungen ergaben, dass bei den umhegten Rattenbabys ein Gen angeschaltet war, das Stress positiv verarbeitete und es erlaubte gelassen auf Belastungen zu reagieren. Bei den vernachlässigten Rattenbabys war dieses Gen durch Methylierung ausgeschaltet und die Ratten gestresst und verängstigt.

So konnte erstmals erklärt werden, warum traumatische Erlebnisse in der Kindheit einen auch viele Jahre später für seelische Erschütterungen anfällig machen. Ebenso wurde erkannt, welche Rolle das Umfeld auf unsere Gene hat.

Michael Meany ging weiter: Er nahm Rattenbabys einer kaltherzigen Mutter und legte diese zu einer liebevollen Mutter hinein. Die Rattenbabys wurde ebenso gelassen wie die Kinder einer liebevollen Mutter und aus den adoptierten Töchtern wurden später liebevolle Mütter. Damit wurde bewiesen, dass auch epigenetische Veränderungen weitervererbt werden: Verhaltensweisen, Erfahrungen oder auch Traumata werden bis zu drei Generationen weitergegeben. Deshalb glaubte man früher, dass dies auf die Gene zurückzuführen sei, doch heute weiss man, dass dies epigenetische Veränderungen sind, welche weitervererbt werden.

Die äusseren Einflüsse

Manel Esteller, Mediziner, führte Untersuchungen an eineiigen Zwillingen durch, wo er nach Abweichungen in der Methylierung suchte. In ihren jungen Jahren gab es bei den eineiigen Zwillingen kaum Unterschiede in den epigenetischen Mustern. Je älter diese wurden, je mehr sie einem anderen Umfeld ausgesetzt waren und je mehr sich ihr Lebensstil voneinander unterschied, umso mehr unterschieden sich ihre epigenetischen Muster. Ernährung, Bewegung, Luftverschmutzung, Zigaretten, etc. zeigten bereits nach einem Jahr ein deutlich verändertes epigenetisches Bild.

Genauso wie in Untersuchungen bewiesen wurde, dass Stress, Luftverschmutzung oder Rauchen zu einer starken Methylierung von bestimmten Genen führt und die Aktivität von mehreren Genen negativ verändert, ist erwiesen, dass ein gesunder Lebensstil sich innert kürzester Zeit positiv auf die Aktivität der Gene auswirkt. Ärzte der University of California in San Francisco verordneten Prostatakrebs-Patienten während drei Monaten eine gesunde Kost, tägliches 30-minütiges Spazieren an der frischen Luft sowie tägliches einstündiges Meditieren. Danach hatte der neue, gesunde, entspannte Lebensstil die Aktivität von mehr als 500 Genen verändert und zum Positiven gewendet.

Intelligenz

Es hat sich herausgestellt, dass die Gene nur einen begrenzten Einfluss auf die Intelligenz haben. Der Zusammenhang zwischen Umfeld und Intelligenz wurde in verschiedenen Untersuchungen erforscht. Die Psychologen Christiane Capron und Michel Duyme untersuchten den IQ von diversen Adoptivkindern. Zum einen handelte es sich um Kinder aus schwierigen Verhältnissen, welche von Familien aus höheren Schichten adoptiert wurden, und entsprechend die Bildung ihrer Adoptivkinder förderte. Zum anderen handelte es sich um Kinder betuchter Eltern, welche in eine arme Adoptivfamilie kamen, wo Armut, Stress und Sorgen den Alltag prägten und die Bildung der Kinder nicht gefördert wurde.

Bei der ersten Gruppe erreichten die Adoptivkinder bei den Intelligenztests Werte zwischen 107 und 111. Deren Geschwister, welche bei ihren leiblichen Eltern in den ärmeren Verhältnissen geblieben waren, erreichten 95 IQ Punkte. Die Gruppe der Kinder aus reichen Familien, welche in eine Adoptivfamilie aus ärmlicheren Verhältnissen kamen, hatte einen durchschnittlichen IQ von 107,5, während Kinder aus reichen Familien über einen durchschnittlichen IQ von 119,6 verfügten. Damit wurde bewiesen, welch bedeutenden Einfluss Umweltfaktoren wie das Fördern der Kinder und das Lernen auf die Intelligenz haben. Dadurch geschehen relevante epigenetische Veränderungen.

In kürzester Zeit können wesentliche Verbesserungen durch optimierte Umweltbedingungen erzielt werden

André Fischer, Neurowissenschaftler vom European Neuroscience Institute in Göttingen, machte ein Experiment mit Mäusen, welche ein Viertel ihrer Hirnzellen eingebüsst hatten. Er hielt die Tiere während vier Wochen in geräumigen Gehegen mit stimulierender Umgebung, wie Laufräder, Tunnels und Klettermöglichkeiten. Das stimulierende Umfeld rief epigenetische Veränderungen hervor, sodass die noch bestehenden Nervenzellen den Verlust der abgestorbenen Neuronen wettmachte und die Tiere in den Tests genauso gut wie die gesunden Mäuse abschnitten.

Die Vorstellung, dass innert vier Wochen ein massiver Hirnschwund dank epigenetischen Veränderungen derart wettgemacht werden kann, dass keinerlei Unterschiede zu gesunden Tieren ausgemacht werden können, ist es wirklich wert auch bei sich über Selbstheilung nachzudenken und einen gesunden Lebensstil zu pflegen. Mehr dazu und zu weiteren spannenden Themen rund um die DNS im nächsten Blog.

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